Olaf's Kolumne


3.9.95 [Das ist nicht von mir, aber ich finde es gut. -Olaf]

Pirsch
Die Universität schloß zwecks Sommerferien, aber statt in irgendei- nen abgelegenen Winkel der Welt abzuschwirren oder oder wenigstens, wie manche Studenten, eine kleine Pauschalreise zum Mond zu machen, blieb Kate in KC. Nach der Einstands-Fete traf er sie das nächste Mal in einem Coley-Club, den die geselligkeits-konformeren Leiten- den der IIA großmütig zu frequentieren pflegten. "Sandy, kommen Sie zum Tanzen!" Sie packte seinen Arm und schleppte ihn nahezu ab. "Sie kenne noch gar nicht meinen Party-Gag."
"Und das wäre?" Aber sie führte ihn bereits vor, und er verspürte aufrichtige Verblüffung. Die Projektoren unter der Decke waren un- sichtbar. Man bedurfte einer gewaltigen kinästhetischen Sensibi- lität, um nur eine Partie einer schlichten Melodie durchzutanzen, ohne aus dem Takt zu geraten, und um so mehr, wollte man sie wie- derholen. Genau das jedoch tat sie, und die lautstarken Mißklänge, welche die anderen Tänzer erzeugten, waren plötzlich übertönt von ihrem kraftvollen Thema, vornehmlich in Baß, als hätte eine himmel- hohe Orgel all ihren Dienst und sämtliche Altoktaven verloren, nichts aber von ihrer Klangfülle: die Ode an die Freude in ma- jestätisch gemessenem Tempo. Im Augenwinkel bemerkte er, wie vier Gäste europäischer Herkunft an einem nahen Tisch auf einmal verun- sichert dreinblickten, sich darüber im unklaren, ob sie sich zu Eh- ren dieses verfremdeten Klangs ihrer Europa-Hymne erheben sollten. "Wie zum...?"
"Reden Sie nicht, machen Sie mit!" Na wenn dieser Ton aus dem Pro- jektor stammt, mußte der Projektor daneben diesen Ton liefern... Er hatte nie viel Interesse am Coley gehegt, aber Kates Schwung steck- te ihn an; ihr Gesicht strahlte vor Begeisterung, ihre Augen leuch- teten. Sie sah aus, als hätte man sie in einem anderen Zeitalter für schön gehalten. Er versuchte diese, dann jene Bewegung, eine dritte... und plötzlich enstand ein Akkord, eine regelrechte Quin- te. Sie glitt ein wenig ab, mußte korrigiert werden, und dann - da, geschafft! Einen ganzen Satz der Melodie in zwei haargenau harmoni- sierten Sätzen. "Mich trifft der Schlag", sagte Kate in sachlichem Tonfall. "Ich bin noch nie jemandem über fünfundzwanzig begegnet, der zu richtigem Coley imstande ist. Wir sollten häufiger zusammen- kommen." Und dann löschte jemand am anderen Ende der Coley-Fläche, schwerlich älter als fünfzehn Jahre, Beethovens Musik aus und er- setzte sie durch neue Töne, die scharf waren und irgendwie ranzig klangen, wahrscheinlich japanischen Stils.
Aus: John Brunner, Der Schockwellenreiter, 1975; deutsch bei Heyne Bibliothek der Science Fiction Literatur, Band 06/78, 1990.

Olaf Titz, 95/10/12