Olaf's Kolumne


26.1.95

Boulevard Bio vom 24.1. zum Thema "Idole" mit Peter Kraus, Marusha, Uwe Seeler und Stefan Effenberg. Die Fußballer lasse ich mal im wesentlichen weg und beschränke mich auf die Musiker. :-)

"Ist unsere Kultur bedroht?" ... "Negermusik und Micky Maus führen zu Tobsucht und Raserei."
So schrieb die Neue Zürcher Zeitung damals, als Peter Kraus gerade zum Star geworden war, über seine Musik - den Rock'n'Roll. Und sicher, "Tobsucht und Raserei" trifft beim oberflächlichen Ansehen sicher den von außen gesehenen Geisteszustand derjenigen größtenteils sehr jungen Leute, die zu Tausenden ihrem Idol auf der Bühne zukreischten. "Sugar Baby" - darf man sowas singen? Das war die Frage der Gazetten vor beinahe vierzig Jahren.
Jedoch leben wir jetzt nicht mehr in den miefigen Fünfzigern, sondern, so konstatiert Alfred Biolek, in den noch miefigeren Neunzigern. Und wieder gleichen sich die Bilder. Es sind wieder die Jugendlichen, die ihrem Star zujubeln, auch wenn der inzwischen nicht mehr die Gitarre, sondern den Plattenteller bearbeitet, Marusha heißt und statt braver Jeans und Jackett die umgedrehte Baseballmütze mit einer riesigen Sonnenblume auf der Stirn trägt. Während ihre Fans ergriffen "Somewhere over the rainbow..." mitsingen, hört der Beobacher von außerhalb der Szene statt des unterlegten Drumcomputers Judy Garland im Grab rotieren.
Unterdessen gibt der Altstar der Fünfziger wieder Konzerte mit den alten Klamotten, auch wenn er anfangs meinte, das Material reiche für ein Comeback nicht aus. Doch werden seine Auftritte inzwischen von drei Generationen gut besucht. Den Fans von damals, mittlerweile eher im gesetzten Alter; ihren Kindern - und ihren Eltern. Die Kultur ist nicht mehr durch den Rock'n'Roll gefährdet, dieser ist ein Teil der Kultur geworden.

Aber Jugendliche, das sieht Marusha genauso wie ihr gealterter Kollege, sind eben immer revolutionär. Und die Musik der jetzigen Generation klingt anders, aber es ist trotz der Computer, die die klassischen Klangerzeuger abgelöst haben, "immer noch eine Bauch- und Herzensangelegenheit." Das versteht jeder, der in dieser neuen Jugendkultur lebt, von außerhalb betrachtet erscheint es unverständlich.
"Die Jugend steuert auf das Jahr 2000 zu. Jede Zeit hat ihre Mode", meint die Protagonistin der Rave-Generation. Wie diese jetzt genau aussieht, spielt dabei gar nicht so sehr die entscheidende Rolle. Man möchte sich irgendwie abheben von den Eltern. Viel bedeutsamer ist in ihren Augen, daß sich hier "eine Gemeinschaft trifft, die frei von Gewalt ist". Toleranz wie auch Gemeinschaftsgefühl sind von Anfang an wichtiger Bestandteil der neuen Kultur, die auf den ersten Blick doch gar nicht so aussieht - die Bezeichnung "Rave" ("Toben" - mal wieder) und der Klang der Techno-Musik lassen eher das Gegenteil vermuten.
Und das, obwohl die jetzt heranwachsende Generation individueller und narzißtischer erscheint als alle vorhergehenden. Aber auf dem Tanzboden bildet sich eine große Gemeinschaft, die ihre Gefühle zeigt und diejenigen der anderen annimmt.

Was macht in diesem Kontext ein Idol aus? Mit dem Aufkommen der Techno-Generation wurde der Disk-Jockey vom "Musik-Kellner" zum Akteur im musikalischen Prozeß, während die Musik-Schaffenden immer mehr in den Hintergrund traten. Die Stars sind heute Plattenleger wie Marusha (auch wenn diese als Frau eher eine Ausnahme darstellt). Sie sieht sich aber nicht als Idol und Vorbild einer Generation. "Wer bekannt und promiment ist, steht eben im Vordergrund und ist präsent", meint sie eher lässig. Auch ihre eigene Fernsehshow soll lediglich dazu dienen, "interessante Themen den Leuten näherzubringen - Mode, Computer, Kunst. Was ich versuche aufzuzeigen, ist authentisch."
Das kaschiert natürlich nur oberflächlich den gewaltigen Erfolg, den sie in Verkaufszahlen und Bekanntheitsgrad inzwischen erreicht hat, und der sie selber wie auch die Szene verändert hat. Zwar besteht sie darauf, daß sich so etwas nicht planen ließe und sie selber vom Erfolg ihrer Aufnahme von "Over the rainbow" überrascht war. "Auch ich liebe diesen Film und wollte unbedingt den Titel mal nachsingen." Vielleicht ging es vielen ihrer Anhänger einfach genauso, bei anderen hat sie sich damit eher unbeliebt gemacht.
Aber die Vorbildfunktion der Prominenten läßt sich doch nicht so einfach leugnen. Die Öffentlichkeit, durch entsprechende Presse- berichte eingestimmt, assoziiert mit der Rave- und Techno-Kultur im wesentlichen exzessiven Drogenkonsum. Marusha sieht das differenzier- ter. Man dürfe nicht die ganze Szene deswegen kriminalisieren, auch wenn unbestreitbar hier Drogen - allerdings in der Regel nicht die "harten" Drogen - vorkommen. Das ist aber auch ein breiteres gesell- schaftliches Phänomen - beim Oktoberfest fließen 6 Millionen Liter Bier. Wenn man auch etwas gegen den Drogenkonsum unternehmen muß, "auf der moralischen Ebene geht das nicht. In dem Moment, wo man den Leuten einfach sagt, das ist schlecht, schalten sie ab". Andere schlechte Vorbilder gibt es zur Genüge - "viele Schauspieler und Politiker sind dauernd zu. Drogen sind ein gesellschaftliches Problem - Alkohol, Zigaretten, alles." Bei Raves wird nicht einmal viel Alkohol konsumiert. "Die trinken lieber Limonade".

Gibt es ein Leben nach dem Rave? Aber klar doch. Genauso wenig wie früher alles Rock'n'Roll war, ist heute alles Techno. Auch Marusha kennt nicht nur ihre Musik und ihre Parties. "Das macht mit der Masse sowieso mehr Spaß. Zuhause höre ich lieber ruhige Sachen." Und die berüchtigten mehrtägigen Großraves sind auch nicht das ganze Leben, noch sind sie eine originär neue Erscheinung. Die Generation eines Peter Kraus ging stattdessen zum Sechstagerennen. Macht man sich Gedanken über die Zukunft? "Ich bin jetzt fast 30", meint Marusha. "Trotzdem möchte ich nicht auf die nächsten 5 Jahre planen. Ich möchte vor allem gesund bleiben." Das mag eventuell ein Charakteristikum der Rave-Generation sein.
Spekulationen über die Zukunft in vier Jahrzehnten werden dann genauso abwegig erscheinen wie jetzt die Untergangsvisionen einer Neuen Zürcher Zeitung von ehedem. Aber der einmal entwickelte Geist einer neuen Generation wird sicher fortleben, und die Idole von einst mögen in Zukunft neben Nostalgie vor allem das Gefühl auslösen, daß sie aktiv daran mitgewirkt haben, unsere Gesellschaft zu dem zu machen, was sie ist - trotz allem lebenswert. Und da unterscheiden sie sich zwischen den Generationen gar nicht.
Peter Kraus singt wieder. Und unsere Kultur hat er immer noch nicht kaputtgekriegt.
olaf

Olaf Titz, 95/10/12