Net-Raver


Patrick in LOOP 11/94:

Net-Raver: Die virtuelle Party

Können Computer und Techno mehr gemeinsam haben als Musik?
Wer dies bestimmt bejaht sind die Net-Raver. Net-Raver sind Leute aus verschiedenen Teilen der Erde, die nur zwei Dinge gemeinsam haben: Sie mögen Techno/House und sind ans Internet angeschlossen. Das weltweite Computernetzwerk Internet, aufgebaut in den USA in den siebzigern, das in den letzten Jahren seinen großen kommerzeillen Durchbruch hat, ist besonders in lezter Zeit als "Datenhighway" in die Schlagzeilen gekommen. Im Internet gibt es tausende von "Diskussionsbrettern" - Bereiche, in denen jeder etwas schreiben kann und die jeder Interessierte lesen kann. Das geschieht nicht zeitgleich, d.h. wenn einer etwas am Abend tippt kann ein anderer dies am nächsten morgen lesen und evtl. darauf öffentlich (in dem Brett) oder privat (nur an den Autor) antworten. Das Ganze ist also wie ein schwarzes Brett, daher auch der Name.
Seit einigen Jahren gibt es die Bretter "alt.rave" und "alt.music.techno", wobei "alt" die Kategorie "sonstiges" beschreibt. Menschen aus aller Welt unterhalten sich dort virtuell über alles was mit Techno im Zusammenhang steht. Mixmaster Morris schreibt dort ebenso wie John Selway (er hat zusammen mit Lenny Dee Sven Väths 'An Accident in Paradise' abgemixt).
Zu diesen "Brettern" im Internet gibt es noch einige nationale Subnetzte des Internets, die ihre eigenen Raver-"Bretter" haben. Das bekannteste ist wohl "T-Netz.Raver", in dem sich die sogenannten "T-Raver" treffen. Aus Kiel, aus Berlin, aus Hamburg, aus Frankfurt, aus dem Ruhrgebiet und aus Bayern kommen die Leute, die sich zum Teil schon seit Jahren vom Bildschirm her kennen. Auf größeren Raves treffen sie sich, so auch letzten Monat auf dem Tribal Gathering in München, wo etwa 10 Raver aus ganz Deutschland aus "alt.rave", "T-Netz.Raver" und aus dem sehr aktiven regionalen "Rave-Net" zusammenkamen.
Es gibt Underground Magazine, die auch im Netz erscheinen, wie der Mushroom (bald soll es auch Magazine geben, die nur elektronisch verbreitet werden) und auch Flyer werden ständig abgetippt und in den Netzen veröffentlich. Auch den LOOP könnt ihr bald im Netz bekommen. Es gibt eine Liste aller bundesweiten Radio und TV-Ravesendungen, und neue Trends und Stile werden sofort besprochen. Wer eine andere Stadt besucht kann die dort wohnenden fragen wo es Clubs und Stores gibt und wo am besten nicht hin sollte.
Networks und die Rave-Comunity passen gut zusammen. In den Netzen kommt jeder zu Wort, es gibt keine Schranken, weder soziale noch räumliche noch zeitliche. Während einer in Nürnberg schreibt, raved ein anderer in Freiburg ab und kommt erst später dazu dem ersten zu antworten. Es ist egal wie jemand aussieht, wie er spricht, wie er tanzt - am Bildschrim erscheinen nur die von ihm getippten Buchstaben. Hier trifft der DJ aus Berlin auf den Labelchef aus Frankfurt, hier trifft der Szeneneuling auf den "Oldie", hier kann man sich Tips fürs DJen bei den Profis holen und Produzentenlisten bekommen.
Im T-Netz haben sich schon bundesweite Freundschaften geschlossen. Man schreibt, man trift sich bei größeren Events und man telefoniert.
LP&U in Computersprache.

Patrick Gruban, 95/04/02